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Gendermedizin

Warum Frauen anders (krank) sind

eine Frau Lächelt eine Frau Lächelt
Datum:
19. März 2025
Lesezeit:
6 min

Unterschiedliche körperliche und geschlechterspezifische Voraussetzungen führen bei Frauen zu unterschiedlichen Krankheitsbildern und Symptomen sowie einer unterschiedlichen Aufnahme und Verstoffwechslung von Arzneimitteln. Warum es bei einer Vielzahl von Erkrankungen einen stärkeren Blick auf die Bedürfnisse von Frauen in der Medizin bräuchte, erklärt Dr. Hildegard Seidl im Gespräch mit der BKK Pfalz.

Können die Erkenntnisse aus der Forschung erklären, warum Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer haben, dafür aber häufiger an Depressionen oder Autoimmun­krankheiten leiden?

Der Grund für die kürzere Lebenserwartung von Männern liegt größtenteils in deren Lebensführung, die zum Beispiel durch Berufswahl, Risikofreude oder Ernährung und Genussmittelkonsum beeinflusst wird. Die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau spielen hier also eine geringe Rolle – anders als bei der Erklärung, warum Frauen häufiger an Autoimmunkrankheiten leiden. Und schon sind wir mittendrin in der Komplexität einer geschlechterspezifischen medizinischen Betrachtungsweise und Behandlung. Die schließt nämlich nicht nur biologische Unterschiede mit ein, sondern auch bestimmte Verhaltensweisen und gesellschaftliche Normen, die Einfluss auf unsere Gesundheit haben.

Was spielt bei den häufiger auftretenden Autoimmun­krankheiten eine Rolle?

Die werden dem stärkeren Immunsystem der Frauen zugeschrieben. Zum einen beeinflusst das weibliche Geschlechtshormon Östrogen unsere Immunzellen positiv, während das männliche Testosteron diese eher unterdrückt. Zum anderen haben Frauen zwei X-Chromosomen im Gegensatz zu Männern mit nur einem X-Chromosom. Mittlerweile wissen wir, dass auch das zweite X-Chromosom bei den Frauen nicht gänzlich inaktiv ist und wichtige Informationen für das Immunsystem bei Bedarf dort abgelesen werden können. Ein Mann hat diese „zweite“ Chance nicht. Allerdings steigt leider damit für uns Frauen auch das Risiko, dass unser „bissiges“ Immunsystem gegen den eigenen Körper aktiv wird – und Autoimmunkrankheiten auslösen kann. Das doppelte X-Chromosom ist also Fluch und Segen zugleich.

Warum werden bei Frauen häufiger Depressionen diagnostiziert?

Hier vermuten wir mitunter, dass Depressionen bei Männern häufig unerkannt bleiben. Dafür spricht auch, dass die Selbstmordraten von Männern in Deutschland in allen Altersklassen deutlich höher sind als bei Frauen. Psychische Erkrankungen sind ja immer noch sozial stigmatisiert. Aufgrund einer bestehenden traditionellen Maskulinität, in deren Rollenbild depressive Symptome wie Leistungsminderung und Niedergeschlagenheit keinen Platz finden, sind Männer eigentlich noch gefährdeter, Stigmatisierungen ausgesetzt zu sein, als Frauen. Bei psychischen Problemen reden Männer weniger darüber und suchen sich seltener ärztlichen Rat. Hinzu kommt, dass sich eine Depression bei Männern atypisch äußern kann und deshalb nicht erkannt wird. Depressive Männer können sehr gereizt und aggressiv sein und konsumieren oftmals Suchtmittel jeglicher Art. Zudem bestehen oft Kommunikationsdefizite zwischen Patient*innen und Behandelnden, sodass Symptome weder mitgeteilt noch abgefragt werden.

Typisch männlich versus typisch weiblich. Zeigt das Beispiel der Depression nicht recht deutlich, wie festgeschriebene Geschlechter­rollen die Diagnose und Behandlung von Krankheiten beeinflussen?

Absolut. Generell haben Frauen einen anderen, offeneren Kommunikationsstil als Männer. Sie erzählen mehr, interpretieren auch ihre Symptome und hinterfragen sie. Außerdem suchen sie sich eher professionelle Hilfe. Das ist der erste Schritt zu einer schnelleren Diagnose und Behandlung von Krankheiten, nicht nur bei Depressionen. Ein anderes Beispiel dafür, welche Rolle das Geschlecht bei der Diagnose spielt, ist der Herzinfarkt. Er gilt als typisch männlich, und das ist auch ein Grund, warum immer noch mehr Männer als Frauen einen Herzinfarkt überleben. Sie bekommen einfach schneller Hilfe. Betrachtet man die Zahlen, haben deutlich mehr Männer als Frauen eine koronare Herzkrankheit. Trotzdem ist sie bei beiden Geschlechtern die Todesursache Nummer eins.

Spielen dabei die unterschied­lichen Symptome eine Rolle?

Ja, als typische Symptome für einen Herzinfarkt gelten diejenigen, die häufiger bei Männern vorkommen. Das sind starke Schmerzen hinterm Brustbein, ausstrahlend in den linken Arm oder in den Kiefer und Rücken. Diese Symptome sind in der Bevölkerung bekannt, sodass hier Betroffene oder Angehörige oft schnell reagieren, zum Beispiel den Rettungsdienst rufen, und die sofortige ärztliche Behandlung erfolgt. Die weniger bekannten und als atypisch geltenden Symptome wie schwere Müdigkeit und Schwäche, Luftnot, Übelkeit und Erbrechen sowie Rückenschmerzen kommen dagegen gehäuft bei Frauen vor. Das wissen viele Menschen nicht.

Aber man kann doch sicherlich davon ausgehen, dass Notfallsanitäter*innen und Notärzt*innen entsprechend ausgebildet sind und schnell reagieren, oder?

Sicherlich. Das Problem beim Erkennen eines Herzinfarkts liegt eher nicht beim medizinischen Fachpersonal, sondern darin, dass das Wissen in der Bevölkerung nicht genug verbreitet ist und es deshalb zu großen Verzögerungen in der Diagnose und Behandlung kommt oder gar keine erfolgt. Dies führt einerseits zu mehr Todesfällen und andererseits zu größeren Muskelschäden im Herzmuskel und anschließend zu einer bleibenden Leistungsminderung des Herzens.

Frauen sind anders als Männer. Spiegelt sich das auch darin wider, dass Medikamente unterschiedlich wirken?

Ja, denn prinzipiell sind Frauen kleiner, leichter, haben kleinere Organe, weniger Blutvolumen, eine andere Zusammensetzung von Fett- und Muskelmasse und langsamere Abbaumechanismen im Hinblick auf Alkohol und auch bestimmte Medikamente. Dies führt dazu, dass leichter Überdosierungen samt entsprechenden Nebenwirkungen auftreten. Diese sind im Allgemeinen nicht schwer, da die meisten Medikamente sehr sicher sind, also eine große therapeutische Breite haben. Jedoch können die auftretenden Nebenwirkungen die Verträglichkeit und die Bereitschaft, das Medikament einzunehmen, beeinflussen. Beispiele dafür sind Cholesterinsenker, Beta-Blocker, ACE-Hemmer, manche Schlafmittel und Schmerzmittel.

Hängt das damit zusammen, dass sich die Pharma­industrie bei der Erforschung und Erprobung von neuen Medikamenten immer noch am männlichen Körper orientiert?

Bei neuen Medikamenten wird mittlerweile schon geschaut, dass sich die Proband*innen in Alter und Geschlecht proportional zum Vorkommen der Erkrankung gleichen. Es gibt jedoch viele alte Medikamente, die so nicht erforscht wurden. Die proportionale Berücksichtigung beider Geschlechter in Studien ist der erste Schritt zu einer Berücksichtigung von Frauen. Wenn jedoch – was leider meistens so ist – keine geschlechtergetrennte Auswertung erfolgt und das Studiendesign dieses nicht von Anfang an vorsieht, dann werden bestehende Unterschiede in Dosierung, Wirkung und Nebenwirkung nicht gesehen beziehungsweise nicht genügend statistisch gewürdigt.

Wie beurteilen Sie das Wissen um gender­spezifische Aspekte in der Medizin in der Mehrheit der Arztpraxen? Können Frauen sich gut aufgehoben fühlen?

Das ist nicht so leicht zu beantworten, es gibt nämlich darüber keine Studien oder Veröffentlichungen. Es wird so sein wie oft im Leben: Es gibt Ärztinnen und Ärzte, die für dieses Thema sensibilisiert und fortgebildet sind und entsprechend agieren, und andere, für die das noch keine bedeutende Rolle spielt. Ich kann Frauen – aber selbstverständlich auch Männern – nur empfehlen, ihren Behandelnden die Frage zu stellen, ob es bei der Erkrankung oder Therapie Geschlechterunterschiede gibt und wie diese sich auswirken. Falls es jemand nicht weiß, kann man darum bitten, die Information einzuholen oder anderswo nachzufragen.

Dr. Hildegard Seidl

Porträt von Frau Dr. Seidlist Fachreferentin für Gendermedizin und -pflege in der München Klinik. Diese übernimmt in der Gendermedizin eine Vorreiterrolle und hat ein eigenes Fachreferat für diese Thematik.

Foto: Klaus Krischok

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