Pubertät
- Datum:
- 14. August 2024
- Lesezeit:
- 4 min
Der ganz normale Wahnsinn
Irgendwann zwischen dem elften und dem dreizehnten Geburtstag des Nachwuchses schlägt dessen Laune um. Für unzählige Eltern der Beginn eines Ausnahmezustands, auch Pubertät genannt.
Die Symptome sind bekannt: Von ruppig bis respektlos präsentiert sich der Nachwuchs, für den die Eltern gestern noch ganz okay, heute allerdings mega-peinlich sind. Eine unerträglich gewordene Schule steht der Sehnsucht nach Ausprobieren im Weg. Impulsiv und unbedacht oder auch geprägt von andauernder Lustlosigkeit vergehen die Tage im Leben eines ganz normalen Teenagers. Bis der Spuk nach zwei bis drei Jahren endlich vorbei ist. Harte Zeiten — nicht nur für die Eltern.
Baustelle Gehirn
Als wären die körperlichen Veränderungen nicht schon anstrengend genug, vollzieht sich unter der jugendlichen Schädeldecke in der Pubertät eine grundlegende Umstrukturierung. Die Hirnforschung, insbesondere die Magnetresonanzbilder des US-Neurologen Jay Giedd vom National Institute of Mental Health, zeigt mit detaillierten Befunden, wie sich die grauen Zellen neu vernetzen. Eine Art Generalüberholung der Schaltkreise beginnt. Das Gehirn sortiert aus, konzentriert seine Kräfte und modelliert alles neu, um den jungen Menschen fit zu machen für den Eintritt ins selbstständige Leben. Die anstrengende Seite: Solange das Werk nicht vollbracht ist, reagiert das Bewertungssystem bei Jugendlichen häufig irrational. Logik und Gerechtigkeit stehen nicht auf der Tagesordnung. Die gute Nachricht: Sowohl Gehirn als auch Körper sind jetzt zu Höchstleistungen fähig. Alles wird gerüstet für die Überlebensfähigkeit in Eigenverantwortung. Das Immunsystem ist gewappnet, Kraft und Geschicklichkeit optimiert, das Denkvermögen geschärft.
Unterschätzte Teenager
Leider ist sowohl in den Medien als auch im Schulalltag die Pubertät als Zeit des Wahnsinns verschrien, ohne auf die besonderen Fähigkeiten und Möglichkeiten, die diese Phase des Lebens den Heranwachsenden bietet, näher einzugehen. Auf den ersten Blick mögen die Jugendlichen ja desinteressiert, gelangweilt oder auch im Gegenteil dickköpfig und eigensinnig wirken, unterm Strich also für die Zeit der Pubertät für nichts zu gebrauchen. Eine fatale Fehleinschätzung. Denn was in dieser Zeit des Umbruchs und der größtmöglichen Irritation hilft, ist das zu tun, wofür dieser ganze Prozess bestimmt ist: Verantwortung übernehmen, neue Erfahrungen machen, Herausforderungen meistern und von den Erwachsenen ernst genommen werden.
Was können Eltern tun?
Auf den Alltag übertragen hieße das: Versuchen Sie zu akzeptieren, dass Ihr Kind emotionale Sicherheit nun auch außerhalb der Familie sucht. So werden Sie mit demonstriertem Desinteresse Ihnen gegenüber sehr viel entspannter umgehen können. Versuchen Sie Ihrem Kind bewusst Freiräume zu gewähren, es aber gleichzeitig bei der sozialen Neuorientierung zu unterstützen. Und übertragen Sie Ihrem Kind die Verantwortung für eine bestimmte Sache, die es auch gleichzeitig fordert und ihm signalisiert, dass Sie ihm eine Menge zutrauen. Und wie bei allen Irrungen und Wirrungen des Lebens empfiehlt sich auch bei pubertierenden Jugendlichen: Nehmen Sie die Sturm-und-Drang-Zeit Ihres Nachwuchses mit Humor und etwas Gelassenheit. Überlegen Sie sich, ob es manchmal nicht für alle Beteiligten stressfreier ist, nicht alles zu Ende zu diskutieren, sondern lieber einmal nachzugeben. Die gute Nachricht: Die Pubertät geht vorbei. Und Eltern erhalten danach meistens wieder einen „Stammplatz“ im Leben ihrer Kinder.
Schule bremst
Viele Schulen und Pädagogen gehen zu wenig auf diese besondere Entwicklungsphase von Jugendlichen ein. Während aus Kindern geschlechtsreife Wesen werden und sich parallel dazu ihre Hobbys, Wünsche und Sehnsüchte ändern und die Sinne schärfen, kann es wohl nichts Bedeutungsloseres geben als den Flächeninhalt von Kreisen zu berechnen, die Vegetationszonen der Erde auswendig zu lernen oder chemische Reaktionsgleichungen zu interpretieren. Die Schule bremst die Schülerinnen und Schüler da aus, wo sie in voller Fahrt auf der linken Spur unterwegs sind. Der Bielefelder Reform-Pädagoge Hartmut von Hentig schlägt in seinem Buch „Bewährung“ vor, man möge die gesamte Mittelstufe probeweise „entschulen“. Die Schüler sollen — statt widerwillig zu büffeln — für zwei Jahre hinausziehen in die Welt, um dort Aufgaben anzupacken, die sie wirklich fordern. Zugegeben, das ist eine radikale Forderung, die der Vorbereitung bedarf und sicherlich nicht für jedes Kind eine gute Lösung darstellt. Die Idee dahinter ist, Jugendlichen Freiräume zu geben, damit sie sich frei entfalten können. Eltern nehmen in dieser Zeit eher eine Nebenrolle ein. Viel wichtiger sind sozialer Anschluss und der Austausch mit Gleichaltrigen.