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Neue Wege in der Medizin
Professor Dr. Dietrich Grönemeyer ist nicht nur einer der renommiertesten Ärzte Deutschlands, sondern auch Wissenschaftler und Visionär. In seinem jüngsten Buch „Medizin verändern. Heilung braucht Zuwendung, Vertrauen und Mut zu neuen Wegen“ zeigt er auf, woran unser Gesundheitssystem leidet, welche Bedeutung das heutige Medizinverständnis für uns Menschen hat und wie Lösungen aussehen könnten – hin zu einer Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Im Gespräch mit der GESUNDHEIT plädiert der Arzt und Autor für einen Blick „über den Tellerrand“ der Schulmedizin hinaus und für eine neue Bewertung des Gesundheitswesens.
Professor Grönemeyer, Ihr Blick auf die medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland ist – naturgemäß – geprägt von Ihrem Selbstverständnis als Arzt. Wie würden Sie dieses beschreiben?
DIETRICH GRÖNEMEYER: Es geht mir um eine „Medizin auf Augen- höhe“. Dabei gilt grundsätzlich, die individuelle Erkrankung und das Wesen der Patientinnen und Pati- enten zu erfassen und, wenn mög- lich, eine auf sie oder ihn persön- lich abgestimmte Behandlungs- methode zu finden. Ich muss mich dem Menschen ganz zuwenden, um erkennen zu können, was für seine Heilung notwendig ist. Neh- men wir das Beispiel Rücken- schmerzen. In über 80 Prozent der Fälle akuter Schmerzen sind nicht etwa Verschleißerscheinungen ursächlich, sondern muskuläre Verspannungen. Häufig lassen sich diese Verspannungen auf psychische Probleme zurückfüh- ren. Wir verspannen, wenn wir et- wa die „Zähne zusammenbeißen“ oder uns „die Angst im Nacken sitzt“.
Zuwendung braucht viel Zeit, die bezahlt werden muss. Doch unser Gesundheitssystem schreibt rote Zahlen. Muss mehr Humanität nicht an den Kosten scheitern?
DIETRICH GRÖNEMEYER: Nein, für mich sind medizinische Effizienz und Fürsorglichkeit kein Widerspruch. Voraussetzung ist allerdings, dass wir unser Gesund- heitssystem nicht nur als Kosten- faktor sehen, sondern als das, was es längst ist: ein Wirtschaftszweig von mittlerweile großer Bedeutung, der mit einer Steigerung von jähr- lich 3,3 Prozent in den letzten zehn Jahren deutlich stärker wächst als unser Bruttoinlandsprodukt. Be- denken Sie, was neben dem klas- sisch medizinischen Kernbereich dazugehört: Zulieferbetriebe wie die pharmazeutische Industrie, Me- dizintechnikunternehmen, die High- tech-Geräte in Spitzenqualität ab- liefern, bis hin zu Anbieter*innen wirksamer Präventions- und Well- nesstherapien. Wir müssen raus aus dem Teufelskreis der Kosten- diskussion, raus aus der Subven- tionsmentalität und hinein in wirt- schaftlich vernünftiges Handeln.
Die Bezahlbarkeit medizinischer Anwendungen schafft noch kein Vertrauen in deren Wirkung. Was braucht es dafür?
DIETRICH GRÖNEMEYER: Um Heilung möglich zu machen, müssen Ärzt*innen über ihren schulmedizinischen Tellerrand hinausblicken und ihre Arbeit inter- disziplinär ausrichten. Erst die Zu- sammenarbeit mit Kompetenzen anderer Fachrichtungen – sowohl aus dem medizinischen als auch aus dem pflegerischen oder psy- chotherapeutischen Bereich – und die Verbindung von Hightech-Medi- zin mit traditionellen Heilverfahren befähigen uns, alle Maßnahmen zu erkennen und wahrzunehmen, die für eine Heilung notwendig sind. Nur dann kann ein erkrank- ter Mensch darauf vertrauen, best- möglich begleitet zu werden.
Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer: Medizin verändern. Heilung braucht Zuwendung, Vertrauen und Mut zu
neuen Wegen. Ludwig Verlag.
Fotos: © Laura Möllemann